AM114 – Brief an Walter Gropius
Wien, Freitag, 29. September 1911 [= Poststempel]


Mein

Nein – sollst Du auch nicht. Alles oder nichts. Als Ascete durch die Welt gehen – nein, dazu hat Gott Dich nicht gemeint. Mich auch sollst Du entweder ganz oder gar nicht haben —

Darum meine Scheu! Versteh mich recht! Eines kränkt mich – Du hast wirklich geglaubt, dass ich eine Lüge depes[c]hirte? Aber – kennen thust Du mich gar nicht!


Ich hatte mich verkühlt und war im Bett. Glaubst Du mir nun!?

Der Shawl ist herrlich schön! – Alle sind paff darüber. Nun sag’ mir[,] Herz – wann hättest Du ein bissel Zeit für mich. Ich bin jetzt ganz frei – und will Dich sehen. Entweder Du kommst her zu mir oder wir gehen zusammen nach Paris – überleg’ es – aber – ich will Dich sehen.


Mach’ es möglich – bitte schreib’ mir genau, wann Du am Besten ein bissel ab könntest[,] ich werde mich absolut nach Dir richten. –

Eventuell gehe ich auf den Semmering für 3–4 Tage. Ich kann das alles machen. Und Du gehst auch hin und wir sind halt zusammen dort. Aber sehen will ich Dich. Also – geliebtes Herz – schreibe mir – sofort – und

wenn Du – 2 – 3 – ja nur 1 Tag hast – so komm. Dein lieber Brief heute ließ es mich noch mehr bedauern, dass ich nicht in Berlin war – es ist unwiederbring- \gut zu machender bringlich/ licher Verlust für mich.

Also schreibe und (ich glaube) freue Dich[.]

1000 Grüße[.]


Apparat

Überlieferung

, , , .

Quellenbeschreibung

2 Bl. (4 b. S.) – Briefpapier.

Beilagen

Umschlag, , Berlin-Wilmersdorf | Nicolsburgerplatz 4. G. IV | Herrn Walter Gropius; PSt. (lt. , S. 1010, j 6k11): 1/1 WIEN 9 | 29.IX.11 – 1 | * a *; von WG mit einer 5b versehen (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen).

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Antwort auf WG205 vom 24. oder 25. September 1911 (Bist Du wirklich krank und wenn – hast Du kein erklärendes Wort für mich): Eines kränkt mich – Du hast wirklich geglaubt, dass ich eine Lüge depes[c]hirte?, WG207 vom 26. September 1911 (Wenn ich Dein Telegramm recht verstehe, so willst \hast/ Du Paris aufgegeben??): Entweder Du kommst her zu mir oder wir gehen zusammen nach Paris – überleg’ es – aber – ich will Dich sehen und WG210 vom 26. bis 28. September 1911 (Ich konnte es nicht ertragen, daß Du mich nur halb liebst […] und beraubte mich freiwillig, Gott weiß was es mich gekostet hat, Deines Anblicks): Als Ascete durch die Welt gehen – nein, dazu hat Gott Dich nicht gemeint. Mich auch sollst Du entweder ganz oder gar nicht haben.

Datierung

Schreibdatum: irrtümlich „(20.)9.1911“ (fremdschr. Datierungsversuch nach Übergabe an , ).

Folgt Poststempel.

Übertragung/Mitarbeit


(Renita Steinwand)
(Elisabeth Behnle)


A

depes[c]hirte – s. AM112 vom 24. September 1911.

B

Shawl – s. AM104 vom 2. September 1911: Das Tuch und die Blouse und AM105 vom 4. September 1911: Blouse […] Shawl.

C

Brief – wahrscheinlich aus dem Entwurf WG209 vom 26. oder 27. September 1911.

D

Berlin – s. AM103 vom 28. August 1911: Fried’sche Aufführung.